Kinder zu haben war einmal ihr Lebenstraum. Doch dieser Traum hat sich auf andere Art erfüllt, als die Journalistin Silvia Aeschbach erwartet hat.
Text: Silvia Aeschbach Fotos: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo
Ich war ein Teenager, 13 Jahre alt, und lag mit einem dicken Schmöker auf meinem Bett. Fasziniert las ich in dem Buch über Astrologie, das ich meiner älteren Schwester gestohlen hatte, die Charakteristik meines Sternzeichens, des Krebses: «Das mütterlichste Sternzeichen von allen. Schicksalsmässig aber auch das Sternzeichen, das am wenigsten eigene Kinder hat. Kompensiert dies, indem es die mütterlichen Gefühle in seinem Umfeld und im Beruf auslebt. Wählt oft jüngere Partner, die es bemuttern kann.» Entsetzt fragte ich meine Mutter: «Stimmt das?» Sie lachte und nahm mich in den Arm: «Sicher nicht. Du bist, im Gegensatz zu deiner Schwester, die geborene Mutter und wirst mindestens fünf Kinder haben!» Seit dieser Voraussage sind 40 Jahre vergangen. Im vergangenen Dezember haben meine Schwester und ich Weihnachten gefeiert, ohne meine Mutter, die schon lange gegangen ist, dafür mit ihren erwachsenen Grosskindern, Catherine und Jean-Claude. Die beiden sind mir aus dem Gesicht geschnitten: gross, blond, blauäugig und sommersprossig. Es sind die Kinder meiner dunkelhaarigen Schwester. Meine Begleitung an diesem Abend waren mein Mann und unsere Hunde Louis und Millie.
Ich bin eine kinderlose Frau. Das tönt irgendwie traurig, ist aber kein Grund zum Klagen, auch wenn ich lange damit gehadert habe. Und es mein enges Umfeld nie verstanden hat, warum Silvia, die schon als kleines Mädchen die Kinder aus der ganzen Nachbarschaft gehütet hat, nie selber welche hatte. Die Silvia, die in einem Kinderheim ein Praktikum gemacht hatte und da die Kleinen, die von ihren Eltern übers Wochenende nicht abgeholt wurden, einfach mit nach Hause genommen hatte. Die einen Beruf wählte, der mit Kids zu tun hatte: Kindergärtnerin. Der Wahrheit halber sei hier gesagt, dass sie noch lieber Journalistin geworden wäre, aber die Eltern waren der Überzeugung, dass Kindergärtnerin die beste Vorbereitung für ihre eigene Familie sei. Als ich 20 Jahre alt war, wurde meine Schwester Mutter. Ein «Unfall». Aber wir freuten uns alle über Catherine, die an meinem Geburtstag zur Welt kam. Natürlich wurde ich Gotte, und Catherine wurde zu meinem Lebensinhalt. Ich hütete sie jede freie Minute und liebte es, wenn die Leute sagten: «Die Kleine ist ihrer Mama wie aus dem Gesicht geschnitten.» Natürlich korrigierte ich sie nie. Catherine war meine Hauptprobe, die Premiere würde bald folgen. Doch das frohe Ereignis verzögerte sich. Fünf Jahre später bekam meine Schwester ihr zweites Kind. Auch dieses Mal ungeplant. Sie gab ihren Beruf als Buchhändlerin auf und wurde Vollzeitmutter. Ich hatte mir inzwischen meinen Berufswunsch erfüllt und ein Volontariat als Journalistin begonnen. Kinder spielten in meinem Leben weiter eine grosse Rolle. Ich hütete die Kinder meiner Freundinnen nur allzu gerne, wenn diese in den Ausgang gingen.
Ihre Hunde können darauf zählen, dass «Mama» sich um sie kümmert.
Die Journalistin wünscht sich mehr Toleranz auf allen Seiten.
Wenig später verliebte ich mich in einen sehr viel älteren Mann, der Vater einer Teenagertochter war. Diese wohnte zwar bei ihrer Mutter, verbrachte jedoch viel Zeit bei uns. Natürlich nahm ich Charlotte unter meine Fittiche, und wenn sie sagte, «du bist meine Ersatzmami», platzte mein Herz fast vor Stolz.
Doch Ersatzmami zu sein, reichte mir nicht. Allerdings weigerte sich mein Freund, nochmals Vater zu werden. Ich verhütete damals mit einer Spirale, die jedoch verrutscht war. Dies stellte der Frauenarzt fest, nachdem ich vor Bauchschmerzen fast umgekommen bin. Ich war also monatelang ohne Verhütungsmittel nicht schwanger geworden. Ein schlechtes Omen?
Mit 30 trennte ich mich von meinem Freund und verliebte mich in einen Arbeitskollegen, der schon von Anfang an klarmachte, dass er nie Vater werden wollte. Doch wenn die Schmetterlinge im Bauch tanzen, schenkt man so einer Bemerkung keine Beachtung. Er würde sich ändern, und schliesslich hatte ich noch viel Zeit.
Und im Beruf lief es gerade ziemlich gut; ich hatte einen tollen Job nach dem anderen. Die meisten Freundinnen hatten inzwischen ihr erstes Kind. Wenn sie sich gegenseitig über ihre Erfahrungen austauschten, fühlte ich mich öfters fehl am Platz. Ich wollte doch dazugehören, zu den vor Stolz platzenden Müttern und nicht nur als allzeit abrufbare Babysitterin.
Mein Freund änderte seine Meinung nicht, sondern wurde jedes Mal, wenn ich ihn darauf ansprach, noch verstockter. Und er nervte sich, dass bei uns zu Hause regelmässig Gotten- und Nachbarskinder anzutreffen waren. «Mach doch gleich ein Heim auf», sagte er spöttisch. Wir trennten uns. Heute ist er begeisterter Vater von drei Kindern.
So harzig sich das Kinderthema entwickelte, so glatt lief es im Job. Ich machte Karriere wie nur wenige Frauen im Schweizer Journalismus. Meine Eltern waren stolz auf mich, konnten es aber insgeheim nicht fassen, dass ihr «Silveli» so erfolgreich war. Doch dieser Erfolg hatte auch seine Kehrseite. Zu vielen meiner früheren Freundinnen, die jetzt Familie hatten, brach der Kontakt ab – sie lebten nun in einer anderen Welt. Einige neideten mir auch mein ungebundenes Leben. Sprüche wie: «Wenn ich keine Kinder gehabt hätte, hätte ich auch eine solche Karriere wie du machen können.» Oder: «Alles kann man eben nicht haben, gell!» Einmal belauschte ich per Zufall auf dem WC zwei Kolleginnen, beides Teilzeit arbeitende Mütter, die sich über kinderlose Frauen ausliessen: «Was machen die, wenn sie einmal alt sind und keine Bestätigung mehr durch ihre Arbeit haben? Sie sterben allein und einsam.»
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